Einige philosophische Folgerungen der Synergetik, einer interdisziplinaren
Theorie der Evolution und Selbstorganisation komplexer nichtlinearer Systeme,
werden in diesem Artikel zur Diskussion gestellt. Die Synergetik ist ihrem
Wesen nach eine holistische Theorie, und der Holismus ist die Philosophie
der Zukunft. Aus synergetischer Schau heraus konnen die bekannten Vorstellungen
der russischen Kosmisten (N.A.Berdjaev, S.N.Bulgakov, P.A.Florenskii, V.S.Solovijov,
N.A.Umov, W.N.Wernadskii, K.E.Ziolkovskii) uber die Rolle des Chaos in der
Evolution und die aktive schopferische Tatigkeit des Menschen, Samen des
Lebens, die auf dem Weltall ausgesat werden, die Ganzheit der Biosphare
und der Noosphare und die zielgerichtete Erschlie?ung neuer Medien des Wohnens
u.a. auf neue Art ausgelegt werden.
Weil die Synergetik eine interdisziplinare Theorie ist, konzentriert sie
ihre Aufmerksamkeit auf allgemeingultige Gesetzma?igkeiten der Selbstorganisation,
der Strukturbildung und der Koevolution komplexer Systeme jeder beliebigen
Art. Eine allgemeine Auffassung uber die konstruktiven Prinzipien der Koevolution
der Natur und der Menschheit, souveraner Staaten und verschiedener geopolitischer
Regionen in eine Weltgemeinschaft, die Vereinigung des Westen und des Osten,
des Norden und des Suden kann entwickelt werden. Die Synergetik entdeckt
die Prinzipien der nichtlinearen Synthese komplexer Systeme "verschiedener
Altersstufen" in ein komplexes Ganzen: 1) das Vorhandensein von unterschiedlichen,
aber keinen beliebigen Weisen der Vereinigung relativ einfacher Strukturen
in eine komplexe Struktur, 2) die Bedeutung einer richtigen Topologie, einer
Konfiguration bei der Vereinigung des Einfaches in das Komplexe, 3) die
Integration der Strukturen als verschiedener Tempowelten, 4) die Moglichkeit
- im Falle der richtigen Topologie der Vereinigung - der bedeutenden Okonomie
der materiellen und geistigen Ausgaben und der Beschleunigung der Evolution
des Ganzen.
Die Probleme der Ganzheit und des Zieles in ihrer verschiedenen Aspekten
stehen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Synergetik, dieser modernen
Theorie der Selbstorganisation komplexer nichtlinearer Systeme. Die Synergetik
ist ihrem Wesen nach eine holistische Theorie, und der Holismus ist eine
Grundlage des neuen Denkens des XXI. Jahrhunderts.
Professor H.Christof Gunzl, der in der Erforschung des neuen Denkens viel
beigetragen hat, hat mehrmals den holistischen Charakter der neuen Weltanschauung
und der neuen Denkweise betont. "Der Satz "Das Ganze ist mehr
als die Summe seiner Teile" steht im Mittelpunkt des Neuen Denkens
und stellt dessen zentrales Problem dar, - schreibt er. - … Fortschritt
ist im wesentlichen ein Integrationsproze?… Die Evolution ist die gro?e
Synthese. Sie zeigt uns das Universum als ein einziges in Entwicklung
befindliches Ganzes, dessen Ziel Einheit in Liebe hei?t" . Die Synergetik
erklart, warum das evolutionierende Ganze mehr als die Summe seiner Teile
ist und was fur evolutionaren Mechanismen dem Integrationsproze? zugrunde
liegen.
Laut ihres Grunders, Prof. Hermann Haken, untersucht die Synergetik die
Entstehung neuer Eigenschaften in komplexen nichtlinearen Systemen durch
das Zusammenwirken derer Elemente. Mit dem Stichwort 'Zusammenwirken'
ist bereits die Schlusselrolle der Synergetik, eben der Lehre vom Zusammenwirken,
von kooperativen, koharenten Phanomenen, angesprochen .
Der Vorstellungen der Moskauer synergetischen Schule nach, erforscht die
Synergetik nicht nur die Bildung lokalisierter raumlicher und zeitlicher
Strukturen in nichtlinearen dissipativen Medien (Systemen), sondern auch
die konstruktiven Prinzipien der Koevolution komplexer Strukturen in der
Welt . Weil die Synergetik ihrem Status nach interdisziplinar ist, es
ist moglich aus synergetischer Schau heraus, die allgemeinen Prinzipien
der Koevolution der Natur und der Menschheit, der Koevolution und der
nachhaltigen gemeinsamen Entwicklung souveraner Staaten und geopolitischer
Gebiete in eine Weltgemeinschaft, der Integration des Osten und Westen,
des Norden und Suden darzustellen. Mann kann darauf hoffen, neue Prinzipien
der Vereinigung menschlicher Personlichkeiten und kultureller und historischer
Gemeinschaften zu bestimmen, einen Raum fur eine konstruktive Kommunikation,
einen schopferischen Dialog zwischen Menschen, zwischen Tragern von verschiedenen
Denkweisen, kulturellen Traditionen und Lebenswerten zu organisieren.
Vom Gesichtspunkt der Synergetik konnen neue Sinne in den Vorstellungen
von russischen Kosmisten uber das Chaos in der Evolution, das Wachstum
der Komplexitat und der Entstehung der Noosphare, die gemeinsame schopferische
Tatigkeit der Menschen ersehen werden. Man sollte hier die Ansichten von
N.A.Berdjaev, S.N.Bulgakov, P.A.Florenskii, N.F.Fijodorov, V.S.Solovijov,
N.A.Umov, W.N.Wernadskii, K.E.Ziolkovskii erwahnen.
Die Synergetik kann man als ein post-darwinisches Paradigma der Evolution
betrachten. Wogegen die darwinische Theorie der biologischen Evolution
auf dem Schema "blinde Variationen und selektives Aufheben"
aufbaut, tragt die Synergetik zum Verstandnis fur die Mechanismen der
Evolution etwas wesentlich Neues bei. Das synergetische Weltbild ist das
Bild der Hierarchie selbstorganisierender und koevolutionierender Strukturen.
1. Die diskreten Spektra moglicher Wege der Evolution
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Die Variationen sind keine absolut zufallige, "blinde" Veranderungen.
Von Anfang an gibt es gewisse Vorzuge zu bestimmten Formen. Nicht nur
lebende, sondern auch nicht lebende Natur zeigt innere "Neigungen"
zu festgelegten Formen. Vladimir Solovijovs Aussage nach, die Natur demonstriert
"ein Streben und ein Wollen nach dem Leben" . Aber nur bestimmte
Satze von Formen sind durchfuhrbar. Ein evolutionares Verbot ist uber
andere mogliche Formen verhangt. Sie sind einfach instabil, und wenn man
versucht, sie zu bilden, entwickeln sich solche Strukturen sehr schnell
zu stabilen Formen. Man nennt solche Formationen der Natur bei der Struktur-Attraktoren.
Also gelangen wir zu folgendem Schlu?: Es gibt keine beliebigen Strukturen,
die in einem gegebenen nichtlinearen System unterstutzt werden konnen.
Nur die Strukturen, die mit den inneren evolutionaren Trends des Systems
ubereinstimmen, konnen entstehen. Und nichts anderes, nur ausgewahlte
relativ stabile Strukturen konnen in diesem System aufgebaut werden. Das
ist eine Art von evolutionaren Verbotsregeln.
Auf keine Weise alle moglichen Gebilde der Natur erweisen sich als gezeigt,
realisierbar auf jeder Evolutionsstufe. Viele Strukturen bleiben, in einer
verborgenen, versteckten Welt, in einer gewissen "weltumfassenden
Schatzkammer der Gebilden" zu existieren. "Werkzeuge werden
von dem Leben in seiner Tiefe, keineswegs auf der Oberflache der Spezialisierung
geschaffen, jeder von uns hat in seiner Tiefe potentiell unterschiedliche
und vielfaltige Organe, die in seinem Korper verborgen sind", - hat
P.A.Florenskii einmal bemerkt .
Die Spektren evolutionarer Struktur-Attraktoren sind ausschlie?lich von
den eigenen Eigenschaften des entsprechenden komplexen Systems (des offenen
nichtlinearen Mediums) bestimmt. Sie sind vorherbestimmt, potentiell gesteckt
in diesem System. Die Struktur-Attraktoren sind seine inneren Potentiale,
sozusagen, ein "stillschweigendes Wissen" des Systems selbst.
Sie sind ein "Geist des Werdens" des Systems.
Das selektive Aufheben und die Auslese von Formen geschehen auf der Grundlage
eines vorhandenen Spektrums evolutionarer Wege. Jedes komplexes System
hat nicht einen einzigen evolutionaren Weg, sondern eine gro?e Anzahl
von evolutionaren Wege, die von einem Spektrum Struktur-Attraktoren bestimmt
sind. Es gibt verschiedene Varianten der Entwicklung. S.N.Bulgakovs Worten
nach, "die Welt ist plastisch, sie kann umgestaltet werden, und sogar
auf verschiedene Art und Weise" . Die Welt kann wirklich umgestaltet
werden. Aber keineswegs auf beliebige Weise, sondern im Einklang mit eigenen
Formen, mit den Spektren der Struktur-Attraktoren der Evolution. Die schopferische,
konstruktive Tatigkeit des Menschen hat naturliche Beschrankungen in Form
eigener verborgener Kraften komplexer naturlicher und sozialer Systeme.
2. Das Chaos als eine Grundlage fur eine Innovation
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Man mu? vor dem Chaos, das die geordneten Strukturen zerfri?t, keine
Angst haben. Im Gegenteil, die Strukturen der Selbstorganisation entstehen
auf eine chaotische Grundlage und dank dem Chaos. Das Chaos dient als
ein Mechanismus des Ausgangs zu neuen geregelten Strukturen, des Auftretens
etwas Neues. Das Chaos wird von der Synergetik als ein "lebhafter,
aktivierter" (V.S.Solovijov) und kreativer Element verstanden. Die
Schonheit und den konstruktiven Charakter des Chaos zu sehen, das ist
tour de force, eine echte Heldentat der Synergetik. Das Kleine und das
Chaotische sind herrlich, weil sie Moglichkeiten fur die Geburt des Neues
eroffnen. Vom Gesichtspunkt der Synergetik kann die Schonheit als ein
intermediares Phanomen zwischen dem Chaos und der Ordnung betrachtet werden.
Die Schonheit ist keine volle Symmetrie, sondern eine gewisse Verletzung
der Symmetrie (der Ordnung).
Die Synergetik erlaubt uns, eine Zerstorung als ein kreatives Prinzip
zu verstehen. M.Bakunin hat einmal gesagt, da? "die Leidenschaft
fur eine Zerstorung die schopferische Leidenschaft ist". Das ist
wirklich so, weil ein anziehendes Neue nur bei der Befreiung von dem Vergangenen,
bei der Wendung evolutionarer Prozesse in entgegengesetzter Richtung,
in ein anderes Regime geschaffen werden kann.
Die Synergetik findet also die kreative Rolle des Chaos (zufallige Fluktuationen)
in evolutionaren Prozessen, die in nichtlinearen komplexen Systemen ablaufen,
auf. Wann und welcher Zufalligkeit gelingt es, auf die makroskopische
Ebene eines Systems durchzubrechen und das Gesamtbild der Ereignisse zu
bestimmen? Die Synergetik kann auf diese Frage eine konstruktive Antwort
geben.
Dafur ist ein besonderer Zustand eines komplexen Systems notwendig. Das
ist der Zustand seiner Instabilitat, man sagt auch, der Zustand vor einem
Bifurkationspunkt. Im Grunde genommen bezeichnet die Instabilitat eine
Empfindlichkeit eines Systems gegenuber geringen Fluktuationen, die immer
vorhanden sind. Der Zustand der Instabilitat schlie?t tatsachlich etwas
ein, das zur Herstellung einer Verbindung zwischen Mikro- und Makroma?staben
fuhrt. Eben unter diesen Bedingungen konnen kleine Schwankungen die Gestalt
von einer entstehenden selbstorganisierenden Makrostruktur bestimmen.
Fur die Selbstorganisation, bzw. die Lokalisation einer Struktur in einem
Medium, mussen drei Faktoren vorhanden sein:
- Es mu? ein offenes System (Medium) sein, d.h. es mu? einen Zuflu?
von Stoffen, Energie oder Information geben. Der Zuflu? wiegt der Verluste,
die mit der Dissipation verbunden sind, auf.
- Die Nichtlinearitat ist notwendig. Sie bedingt bestimmte Beziehungen
zwischen verschiedenen Bewegungsformen, die zur selektiver Empfindlichkeit
des Systems in bezug auf die au?ere Einflusse fuhren.
- Es ist notig, einen Faktor zu haben, der alle uberflussigen Bewegungsformen,
die infolge der Nichtlinearitat keine energetische Unterstutzung haben,
beseitigt, 'herausfri?t'. Das kann die Dissipation oder ihr gewisses
Analogon sein.
Die kreative Rolle des Chaos zeigt sich in der Evolution auf dreierlei
Art.
1. Vor allem bringt das Chaos eine 'Kraft', die auf einen Trend der Selbststrukturierung
eines nichtlinearen Systems wirkt, hervor. Das ist eigentlich ein Mechanismus,
der dem Zugang zu einem der evolutionaren Struktur-Attraktoren zugrunde
liegt. Eine Makroorganisation bildet sich aus dem Chaos auf mikroskopischem
Niveau heraus. Die dissipative Prozesse sind eine makroskopische Auffindung
des Mikrochaos und funktionieren in ahnlicher Weise, wie ein Bildhauer,
der eine Statue aus einem Stuck vom Marmor mei?elt und sticht.
2. Au?erdem dient das Chaos als eine Basis fur die Integration von relativ
einfachen evolutionaren Strukturen in eine kompliziertere Struktur. Hier
erweist sich das Chaos als ein Mechanismus der Koordination der Tempos der
Evolution.
3. Das Chaos, d.h. unerhebliche Fluktuationen auf mikroskopischer Ebene,
kann ebenfalls eine Weise der evolutionaren Umstellung, des Uberganges von
einem evolutionaren Regime zu einem anderen sein.
3. Die Brucken zwischen lebender und nicht lebender Natur
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Die Synergetik zeigt, da? die hierarchische Treppe evolutionarer Gebilde
ununterbrochen ist. "Das Weltall ist am Leben, aber die Kraft der
Empfindlichkeit tritt in aller Pracht und Herrlichkeit nur bei den hochsten
Tieren hervor". "Das Atom ist immer lebendig und immer glucklich,
trotz den riesigen Abstanden des Nichtseins oder Zustanden im unorganischen
Stoff" . Diese Gedanken uber die Beseeltheit der kosmischen Materie
wurden von dem "Traumer aus Kaluga", K.E.Ziolkovskii ausgesprochen.
Bis vor kurzem konnten solche Vorstellungen fur naiv gehalten werden.
Man konnte sagen, da? eine alte Lehre des Hylozoismus hier wiederbelebt
wurde. Die Synergetik entdeckt einen tiefen Sinn in diesen Vorstellungen.
Die Synergetik schlagt gewisse Brucken zwischen der nicht lebenden und
lebenden Natur, zwischen dem zielgerichteten Verhalten naturlicher Systeme
und der vernunftigen Tatigkeit des Menschen, zwischen dem Proze? der Geburt
etwas Neues in der Natur, der sogenannten "Kreativitat der Natur"
und der schopferischen Aktivitat des Menschen. Im Toten sucht man nach
Eigenschaften des Lebenden, nach Elementen der Selbsterganzung, nach etwas
Ahnlichen der schopferischen Intuition, wahrend im Lebenden sucht man
nach dem Toten, und zwar nach solchen Eigenschaften, die im Toten schon
vorherbestimmt werden, von den Gesetzen der Evolution des Weltall determiniert
werden. Wenn man dem Geist der Synergetik folgt, erweist es sich als moglich,
gewisse Parallelen zwischen den Gestalten und Formen der Natur und den
Zeichnungen der Gedanken und Handlungen des Menschen, zwischen der Geometrien
der Natur und Geometrien des menschlichen Verhalten zu ziehen. "Und
uberall in der lebenden Natur ist dieselbe Methode vorhanden", -
hat N.A.Umov Notizen gemacht . V.N.Muravijov hat uber die Moglichkeit
einer allgemeinen Mathematik nachgedacht . Uberall, in der Natur und in
der Kultur, stellen sich universelle Muster der Selbstorganisation (patterns
of structure formation), der Synthese und des Zerfalls komplexer Strukturen
heraus. Die Muster des Verhaltens des Menschen in der wissenschaftlichen
und kulturellen Gemeinschaft (gerade die Formen, nicht der Inhalt seines
Verhaltens, das von einem konkreten kulturellen und historischen Kontext
abhangt!) sind voraussichtlich ebenso stabil, haufig, konservativ, wie
die Gebilde der Knochen, Zahne, korperlicher Strukturen in der lebenden
Natur.
4. Ein enger Zusammenhang zwischen dem Raum und der Zeit
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Die Synergetik entdeckt eine tiefe Verbindung zwischen den raumlichen
und temporalen Eigenschaften in den evolutionaren Struktur-Attraktoren.
"Ein gro?es Ratsel gestern-heute-morgen, das uns standig in Verlegenheit
bringt, solange wir leben, verbreitet sich auf die ganze Natur. Der Raum
- die Zeit ist keine stationare abstrakte Konstruktion oder Erscheinung.
In der Erscheinung gibt es gestern-heute-morgen. Sie als das Ganze wird
von diesem gestern-heute-morgen allumfassend durchdrungen" . Kann
die Synergetik dieses Ratsel der Natur losen?
Die raumliche Konfiguration einer komplexen evolutionaren Struktur ist
informativ. Es scheint, als ob die Zeit in dieser Struktur aufgehoben
wurde. Es bedeutet, da? verschiedene temporale Stadien der Evolution dieser
Struktur in einer umgestalteten Form in ihr vorhanden sind, in ihrer Architektur
"eingedruckt sind". Die Information uber die Geschichte und
die Perspektiven der Evolution dieser Struktur kann man herausziehen,
wenn man einen synchronistischen Schnitt der gegebenen Struktur gegenwartig
analysiert.
Bestimmte Fragmente (raumliche Gebiete) des synchronistischen Schnittes
der Struktur zeigen den Charakter der vergangenen Entwicklung der Struktur
in ihrer Gesamtheit, und andere Fragmente sprechen fur den Charakter ihrer
zukunftigen Entwicklung. Anders ausgedruckt, eine komplexe Struktur kann
als eine raumliche Mantelflache der diskreten, ausgesuchten evolutionaren
Stadien der Entwicklung dieser Struktur dargestellt werden. Diese interessante
Gesetzma?igkeit der raumlichen Organisation komplexer evolutionaren Strukturen
ergibt sich aus jener Tatsache, da? die Struktur-Attraktoren der Evolution
werden von invarianten Gruppenlosungen geschrieben. Wie bekannt, sind
der Raum und die Zeit in den Invarianten nicht frei: der Raum und die
Zeit stehen hier auf bestimmte Weise in wechselseitigem Zusammenhang.
Die Sache verhalt sich so, als ob die Zeit gewisse raumliche Eigenschaften
gewinnen wurde, und der Raum gewisse temporale Eigenschaften finden wurde,
als ob die Zeit sich in den Raum umgestalten wurde. "Zum Raum wird
hier die Zeit" , - hat A.K.Gorskii auf einen Denkspruch von Richard
Wagner aufmerksam gemacht. "Es ist vollkommen klar, da? der Raum
aufhort, einen unbeweglichen Raum der Geometrie zu sein. Er wird einen
instabilen, dynamischen, flussigen Raum", - schrieb W.N.Wernadskii
.
Unter dem Gesichtswinkel der Synergetik klaren sich mogliche Sinne einiger
paradoxer poetischer Gestalten, solcher wie "die Vergangenheit ist
noch voraus" (Marina Zvetaeva), "das Spatere greift dem Fruheren
vor" und "die Zukunftsgeladenheit des Gegenwartigen" (Nocolai
Hartmann), "die Erinnerung an die Zukunft" auf. Die Zukunft
ist "da und jetzt", sie ist das Verborgene in der Gegenwart.
Der Verlauf der Prozesse in der Gegenwart hangt von der Einstellungen,
von evolutionarer Struktur-Attraktoren ab.
5. Der evolutionare Aufstieg zu mehr und mehr komplexen Strukturen
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Die Synergetik betrachtet die Evolution der Welt als die Evolution nichtlinearer
hierarchisch subordinierter Medien. Sie entwickelt weiter die Auffassungen
der russischen Kosmisten, da? "die Natur eine organische Hierarchie
der lebenden Geschopfe ist" (N.A.Berdjaev) . Die hierarchische Treppe
schlie?t sowie die Stufen des Lebenden, als auch die Stufen des Nicht
Lebenden ein. Die Evolution wird als das Schaffen immer komplexerer nichtlinearer
Medien (Systeme) dargestellt. Die Medien sind fahig, immer mehr und mehr
Anzahl von einfachen Strukturen zu vereinigen und immer komplexere Organisation
aufzubauen. Jedes neues Medium mit neuen Eigenschaften und neuen Nichtlinearitaten
hat sein eigenes Spektrum der Formen.
Beim Aufstieg auf die evolutionare Treppe findet eine Beschleunigung der
Tempos der Evolution statt. Die Evolution der Welt ist nicht einfach eine
Bildung immer verwickelter Strukturen. Beim Aufstieg auf die Stufen der
Komplexitat vom Anorganischen zum Lebenden und vom Lebenden zu den Menschen
werden die Prozesse immer dichter "eingepackt", immer starker
eingeschrankt, und sein Lauf nimmt an Geschwindigkeit zu.
6. Die synergetischen Gesetze der Bildung eines evolutionaren
Ganzen
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Der Weg des evolutionaren Aufstiegs ist der Weg der Entstehung immer
komplexerer ungeteilter Gebilde. Das ist der Weg der Integration der gro?en
Anzahl der Strukturen und Formen in einheitliches Ganze. Der Weg der Verwandlung
der Biosphare in die Noosphare, d.h. in die Sphare der kosmischen Vernunft,
ist, nach W.N.Wernadskii, mit dem allmahlichen Umbau der ganzen Biosphare
"in den Interessen der freilich denkenden Menschheit als Ganzen"
verbunden .
Das Streben nach einem evolutionaren 'Ziel', d.h. nach einem der evolutionaren
Struktur-Attraktoren, ist eng mit dem Aufbau eines Ganzen, einer einheitlichen
ganzen Struktur verbunden. Das Erreichen des 'Zieles' bedeutet in gewissem
Sinn die Entstehung eines evolutionaren Ganzen. Die Synergetik erlaubt
uns, die Gesetzma?igkeiten der Koevolution der komplexen Systemen 'verschiedener
Altersstufen' zu entdecken. Die Rede ist von den Strukturen, die auf den
unterschiedlichen Stadien der Evolution sind und unterschiedliche Geschwindigkeiten
(Tempos) der Evolution haben. Sie erforscht auch die Gesetzma?igkeiten
der 'Einschlie?ung', des 'Einbauens' einer einfachen Struktur in eine
komplexere Struktur .
Die wichtigste Idee der Synergetik ist das Bestehen diskreter Spektren
moglicher Wege in die Zukunft (Struktur-Attraktoren). Au?erdem existiert
eine beschrankte Menge der moglichen Weisen der Vereinigung des Einfachen
in das Komplexe, des Konstruierens immer komplexerer Strukturen aus relativ
einfachen Strukturen. Es gibt verschiedene, aber keine beliebige, Weisen
der Vereinigung einfacher Strukturen in komplexen Strukturen. Keine beliebige
evolutionare Struktur kann mit jeder anderen vereinigt werden, und keineswegs
in einer beliebigen Weise. Es gibt einen begrenzten Satz der Weisen der
Integration, anders ausgedruckt, diskrete Wege des Aufbaues eines komplexen
evolutionaren Ganzen.
Im Verlauf des Prozesses der Vereinigung ist ein bestimmter Grad des Zusammenhangs
und der Uberdeckung sehr wichtig. Eine bestimmte Topologie, eine 'Architektur'
der Uberdeckung mu? vorhanden sein. Ein positives 'Gefuhl fur das rechte
Ma?' ist notwendig.
Die Vereinigung verschiedener evolutionarer Strukturen geschieht ihrer
'Architektur', der Topologie der Organisation und ihren Entwicklungsgeschwindigkeiten
entsprechend. Das Grundprinzip der Vereinigung einzelner Teile in einem
komplexen Ganzen kann man so formulieren: die Synthese der relativ einfachen
sich entwickelnden Strukturen in einer komplexeren Struktur geschieht
durch die Festlegung eines gemeinsamen Tempos ihrer Entwicklung. Die Tatsache
der Integration bedeutet, da? die Strukturen, die Teile eines Ganzen werden,
ein gemeinsames Tempo der Entwicklung erlangen. Die Strukturen beginnen,
in einer und derselben Tempowelt zu existieren, d.h. sich mit einer und
derselben Geschwindigkeit zu entwickeln. Man kann von einer Koexistenz
der Strukturen "verschiedener Altersstufen" in derselben Tempowelt
sprechen.
Au?erdem kann, im Falle der richtigen Topologie der Vereinigung, d.h.
im Falle eines bestimmten Grads der Wechselwirkung, eine wachsende einheitliche
Organisation das Tempo ihrer Entwicklung beschleunigen.
Diese neue wissenschaftlich fundierte Vorstellung uber die Evolution kann
man wahrscheinlich als eine Art von evolutionarem Holismus betrachten.
7. Was kann der Mensch in der Welt schaffen und was ist im Prinzip
unmoglich?
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Die russischen Kosmisten haben uber gro?e Moglichkeiten der menschlichen
schopferischen Tatigkeit im Weltall viel nachgedacht. Sie haben von der
wesentlichen Ausdehnung der Sphare des Menschen im Kosmos und der Erschie?ung
neuer Medium des Wohnens getraumt. Die Menschen, wenn sie gemeinsam und
ubereinstimmend handeln, konnen au?erordentlich viel tun. N.F.Fijodorov
hat, zum Beispiel, einen Projekt erarbeitet, die Erde selbst als ein kosmischer
Apparat zu nutzen und sie abzuschie?en, um die Menschheit vor moglichen
zukunftigen Erdkatastrophe zu retten. Das ist die Schlusselidee seiner
Philosophie der gemeinsamen Sache.
Aber was ist eine effektive gemeinsame Handlung? Welche menschliche Handlung
wird sicher Erfolg haben? Und welche Handlung ist zum Mi?erfolg verdammt?
Wie soll der Mensch verfahren, um vieles zu erreichen? Die Synergetik
gibt ihre Antworten auf diese spannenden Fragen.
Die kunftigen Zustande komplexer Systeme entgehen unserer Kontrolle und
Voraussage. Die Zukunft ist offen und mehrdeutig. Aber zugleich sind die
Spektren der "Ziele", der evolutionaren Struktur-Attraktoren,
in nichtlinearen Systemen vorhanden. Einige Schlu?folgerungen fur die
menschliche Tatigkeit konnen aus diesen synergetischen Vorstellungen gezogen
werden. Es geht hier um bestimmte Regeln des nichtlinearen Managements.
Sie sind die folgenden:
- Die mehrdeutige Zukunft erfordert Weisen eines besonderen weichen
Managements. Dies ist ein Management durch "kluge" und passende
Einflusse. Schwache, aber entsprechende, d.h. resonante, Bemuhungen
sind sehr wirksam. Sie mussen mit den inneren Moglichkeiten eines Systems
ubereinstimmen. Korrekte resonante Handlungen konnen zur Freisetzung
riesiger innerer Krafte und Fahigkeiten eines komplexen Systems fuhren,
ware es ein Mensch oder eine soziale (kulturelle, wissenschaftliche)
Gemeinschaft. Folglich entdeckt die Synergetik ein Prinzip wieder, das
in der Geschichte der Philosophie wohlbekannt ist: kleine Ereignisse
konnen gro?e Ergebnisse hervorrufen.
- Die Kunst des weichen Managements besteht in Mitteln eines Selbstmanagements
und einer Selbstkontrolle komplexer Systeme. Wie man ein komplexes System
auf den passenden Weg ohne grobes Management leiten kann, ist ein Hauptproblem.
Wie kann man ein System zu einem gunstigen evolutionaren Weg mittels
eines geringen, resonanten Einflusses leicht ansto?en? Wie konnen wir
ein System mit einem sustainable development versorgen? Im Grunde genommen
stehen diese synergetischen Vorstellungen mit den Verhaltensregeln ostlicher
Volker im Einklang, zuallererst mit dem Prinzip der Nichtgewalt.
- Einige menschliche Handlungen sind zum Mi?erfolg verdammt. Sie mi?lingen,
weil sie mit den inneren Trends der Entwicklung eines komplexen Systems
nicht ubereinstimmen. Wenn sie keine geeigneten, passenden Handlungen
sind, werden alle Bemuhungen ganz bestimmt vergeblich. Man mu? entweder
nach Mitteln und Wegen der Veranderung der eigenen Eigenschaften eines
gegebenen komplexen Systems suchen, oder auf die Versuche, ein System
auf eine ihm nicht eigentumliche Bahn zu zwingen, vollig verzichten.
- Es ist eine bestimmte Organisation der Handlung notig. Es zeigt sich,
da? der leitende Einflu? kein energischer, sondern ein auf richtige
topologische Weise organisierter sein mu?. Nicht die Intensitat eines
Einflusses, sondern seine topologische Konfiguration, symmetrische Architektur
ist wichtig. Die resonante Handlung besteht in einem Einflu?, der im
Raum verteilt ist. Das ist eine Art von Anregung an den richtigen Platzen
und zur richtigen Zeit.
Ein ganzes System von richtigen korperlichen Stellungen (Asanas) und
gebuhren- den geistigen Einflussen (Mandalas, Mantras, besonderen Labyrinthen
fur ursprungliche Entspannung eines Gehirns) wurde in den ostlichen
Lehren, wie Buddhismus und Yoga, bis ins Kleinste entwickelt. Alle diese
direkten und indirekten Einflusse regen das geistige Feld auf richtige
topologische Weise an und tragen folglich zum Erreichen der hochsten
Zustande eines meditierenden Bewu?tseins bei.
- Die Synergetik stellt fest, wie es moglich ist, die aufgewandte Zeit
und benotigten Krafte vielfach zu reduzieren und die wunschenswerten
und, was nicht weniger wichtig ist, durchfuhrbaren Strukturen in einem
komplexen System mit Hilfe von einem resonanten Einflu? hervorzubringen.
Das Schwache besiegt das Starke, das Weiche besiegt das Harte und das
Leise siegt uber das Laute. Die neue Wissenschaft uber die Komplexitat
erlaubt, einen synergetischen Sinn in der altertumlichen Auffassung
zu entdecken.
Ich mochte nun das Obengesagte zusammenfassen. Die Welt geht zu einer
Einheit durch die Integration verschiedenartiger Strukturen, die in den
unterschiedlichen Tempowelten leben. Die Synergetik entdeckt die Prinzipien
der nichtlinearen Synthese einfacher Strukturen in komplexe Strukturen:
1. das Vorhandensein von verschiedenen, aber keinen beliebigen Weisen
der Vereinigung der Strukturen in eine komplexe Struktur,
2. die Bedeutung der richtigen Topologie, der "Konfiguration"
der Vereinigung des Einfachen in das Komplexe,
3. die Verbindung der Strukturen als verschiedener Tempowelten,
4. die Moglichkeit - im Falle der richtigen Topologie der Vereinigung
- der bedeutenden Okonomie materieller und geistiger Aufwande und der
Beschleunigung der Evolution des Ganzen.
Die Muster der Selbstorganisation, die Struktur-Attraktoren der Evolution,
die nur von den nichtlinearen Eigenschaften entsprechender komplexer Systeme
abhangen, gehen den evolutionaren Prozessen als etwas im voraus Fertige
voran. Sie bedeuten das Gebuhrende. Sie bestimmen, wonach die Prozesse
streben, d.h. innere Ziele - die Symmetrie, die Schonheit, die Wahrheit.
Der Weg in die Zukunft ist nicht ein einzig. Es gibt diskrete Spektren
moglicher Richtungen der Evolution. Die Weisen der Integration der Strukturen
in eine komplexere Struktur sind auch verschieden und mehrdeutig.
Die Synergetik spricht fur die Notwendigkeit eines Stadiums des zufalligen
Wanderns in den evolutionaren Labyrinthen der Welt, solches Stadiums,
das den Ereignissen des Hesausfallens auf die Struktur-Attraktoren der
Evolution vorangeht. Dies ist ziemlich tiefes Modell, das den Elementen
der Vorherbestimmung und der Offenheit; der Vollendung eines Kreises und
der Erreichung eines Zieles - einerseits, und der Unbestimmtheit der zufalligen
Umherirren in den Labyrinthen - anderseits, in sich vereinigt. Dieses
Modell tragt in sich einige archetypische Sinne der Symbolik des Mandalas.
Die Synergetik kann als breites und aussichtsreiches Forschungsprogramm
betrachtet werden. Die Synergetik als ein Forschungsverfahren ist fruchtbringend
in vielen verschiedenartigen Fachbereichen sowohl in den Naturwissenschaften,
als auch in den Sozial- und Geisteswissenschaften. Man kann wohl annehmen,
da? eine neue Art von wissenschaftlicher Forschung in der zweiten Halfte
des 20. Jahrhunderts begonnen hat, sich herauszubilden. Das ist nicht
einfach eine interdisziplinare, oder multidisziplinare, Forschung, obwohl
es zur Zeit guter Ton ist, in einer interdisziplinaren Untersuchung engagiert
zu sein. Das ist eine Art von 'Ferment' oder 'Katalysator', der die Grunddisziplinen
nicht ersetzen kann und will, wohl aber die Entwicklung des Wissens in
ihrem Rahmen fordert. Das ist genau die Rolle der Synergetik heute. Der
Brennpunkt der interdisziplinaren Untersuchung kann sich im Laufe der
Zeit verandern, aber das Wesen einer solchen interdisziplinaren Struktur,
die auf das Erlernen der Komplexitat im allgemeinen basiert, bleibt dasselbe.
Die philosophischen Schlu?folgerungen der Synergetik konnen der holistischen
Philosophie des XXI. Jahrhunderts zugrunde gelegt werden. Die Methodologie
der nichtlinearen Synthese, die sich auf die wissenschaftlichen Prinzipien
der Selbstorganisation und der Koevolution komplexer Strukturen in der
Welt stutzt, kann als eine neue Grundlage fur die Projektierung verschiedener
Wege der Menschheit in die Zukunft benutzt werden . Dank der Synergetik
gewinnen wir die Philosophie der Hoffnung.
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